Darf man sein Baby schreien lassen, damit es leichter das Durchschlafen lernt? Die so genannte Ferber-Methode ist ausgesprochen umstritten. Dabei lassen sich Stresssituationen für müde Eltern und Babys auch mit einem Einschlafritual vermeiden.
Wenn das Baby einfach nicht schlafen oder durchschlafen möchte, sind viele Eltern verzweifelt. Oft erhalten sie dann den Tipp, dass sie ihr Baby schreien lassen sollen, damit es lernt, alleine einzuschlafen. Die in diesem Zusammenhang häufig genannte Ferber-Methode soll angeblich Abhilfe schaffen und für ruhige Nächte sorgen. Sie gilt jedoch unter Experten und Wissenschaftlern als ausgesprochen umstritten und sorgt immer wieder für reichlich Diskussionsstoff.
Ein Baby schreien lassen mit der Ferber-Methode
Die Ferber-Methode – kurz auch „ferbern“ genannt – geht auf den amerikanischen Kinderarzt Richard Ferber zurück. Sein Ansatz beruht darauf, dass die Eltern ihr Baby zunächst wach alleine ins Bett legen und das Zimmer verlassen. Beginnt das Baby zu schreien, darf das weinende Kind zwar nach einem festen Minutenschema von seinen Eltern getröstet, aber nicht mehr aus dem Bett genommen werden. Nach wenigen Tagen soll sich das Baby daran gewöhnt haben, alleine zu schlafen und sogar durchschlafen. In Deutschland wird die Ferber-Methode in einer Variation häufig mit dem Buch „Jedes Kind kann schlafen lernen“ von Annette Kast-Zahn und Hartmuth Morgenroth in Verbindung gebracht.
Die Ferber-Methode wird vor allem deshalb kritisiert, weil sich das weinende Baby in einer Stresssituation befindet und Angst hat, seine Eltern würden nie wieder zurückkommen. Ferner werden die Babys nach Ansicht des Mannheimer Kinderarztes Dr. Herbert Renz-Polster und der Autorin Nora Imlau beim Schreien lassen mit negativen Emotionen und Frustration so lange konfrontiert, bis sie einschlafen. Ein Baby, das so einschläft, hat das Schlafen jedoch nicht gelernt. Laut Imlau und Renz-Polster verfällt es in eine so genannte biologische Schutzstarre, um Energie zu sparen – kurzum: es resigniert.
Video: Ein kleiner Selbstversuch – Schlaflernprogramme für Babys
Andere Experten bewerten die Ferber-Methode weniger drastisch. Ihrer Ansicht nach kann man als Notfallprogramm dann ein Baby schreien lassen, wenn die Eltern so verzweifelt und müde sind, dass sie ansonsten nicht garantieren könnten, ihr Kind zu schütteln oder ihm noch Schlimmeres anzutun. Dabei handelt es sich jedoch um extreme Ausnahmesituationen, die eher selten vorkommen.
Zusammengefasst hat ein Baby schreien lassen die folgenden Nachteile:
- das Baby hat Todesangst
- es fühlt sich verlassen und allein
- das Vertrauen zu seinen Bezugspersonen wird gestört
- es versteht nicht, warum auf sein Schreien keine Reaktion erfolgt
- statt eines Lernverhaltens entsteht Frust
Wie schlafen Babys?
Generell haben viele Eltern zu hohe Erwartungen an den Schlaf ihres Babys. Einen festen Tag- und Nachrhythmus gibt es vor allem bei sehr jungen Babys nämlich noch nicht. Wie bei einem Erwachsenen gliedert sich der Schlaf in verschiedene Phasen, in Tiefschlafphasen und die so genannten REM-Phasen. Die Abkürzung REM steht für Rapid Eye Movement und bestimmt jene Schlafphasen, in denen der Schlaf weniger tief ist und auch geträumt wird. Die Kombination aus Tiefschlaf- und REM-Phase nennt man auch Schlafzyklus. Je nach Dauer des Schlafes wiederholen sich diese Schlafzyklen mehrfach hintereinander. Zwischen den verschiedenen Schlafzyklen liegt ein kurzes Erwachen.
Genau hier unterscheiden sich der Baby– und der Elternschlaf jedoch deutlich. Denn während größere Kinder und Erwachsene das Erwachen zwischen den einzelnen Phasen gar nicht bemerken und direkt wieder weiterschlafen, wird ein Baby erst einmal wach. Das weinende Baby möchte dann getröstet werden, um zurück in den Schlaf zu finden.
Generell ist das Einschlafen ohne Unterstützung sowie das Durchschlafen ein Reifeprozess des kindlichen Gehirns. Manche Babys sind bereits sehr früh in der Lage, müde alleine und ohne Unterstützung in ihrem Bett einzuschlafen und durchzuschlafen. Andere brauchen dafür deutlich länger. Doch egal, ob zwei Monate oder zwei Jahre – nächtliches Aufwachen ist bei einem Baby kein Grund zur Sorge und eine Laune der Natur.
Auch der generelle Schlafbedarf eines Babys verändert sich im Laufe der Monate. Die folgende Tabelle zeigt, wie viele Stunden ein Baby im Durchschnitt täglich schläft:
Alter Schlafbedarf innerhalb von 24 Stunden
Alter | Schlafbedarf |
---|---|
0-3 Monate | ca. 16 Stunden |
3-6 Monate | ca. 15 Stunden |
6-9 Monate | ca. 14 Stunden |
9-12 Monate | ca. 12 Stunden |
Bei diesen Werten handelt es sich allerdings um Durchschnittswerte zur groben Orientierung. So unterschiedlich der Schlafbedarf bei Erwachsenen ist, so groß können die Unterschiede zum Teil auch schon bei Babys sein.
Der Mythos Durchschlafen
„Und, schläft es denn schon durch?“ Auch diese Frage kennen müde Eltern nur gut genug. Dass Babys schreien lassen trotzdem nicht sinnvoll ist, liegt neben dem speziellen Schlafrhythmus kleiner Kinder auch daran, dass es allgemein unter Eltern eine große Verwirrung gibt, was das Wort „durchschlafen“ überhaupt bedeutet. Auch hier sind sich die Forscher ausgesprochen einig: Durchschlafen bedeutet nicht, dass ein Baby abends um sieben Uhr müde ins Bett gelegt wird und ohne Unterbrechung bis morgens um 7 Uhr schläft.
Durchschlafen bedeutet lediglich eine ununterbrochene Nachtphase zwischen Mitternacht und ca. fünf Uhr morgens, in dem das Baby den Übergang zwischen den einzelnen Schlafphasen eigenständig bewältigt, also alleine zurück in den Tiefschlaf findet.
Auch aus evolutionärer Sicht sind zu lange Schlafphasen nicht vorgesehen. Ein Baby, das tief und fest irgendwo alleine getrennt von seiner Mutter schläft, hätte in der Steinzeit nicht lange überlebt und wäre von wilden Tieren gefressen worden. Ein im 20. Jahrhundert geborenes Baby ist so einer Gefahr nicht mehr ausgesetzt, doch die Instinkte funktionieren noch ganz genauso. Auch aus diesem Grund hat die Natur dafür gesorgt, dass Babys nachts häufig wach werden – sehr oft zum Leidwesen ihrer Eltern. Das Baby schreien lassen erweist sich in diesem Zusammenhang also als kontraproduktiv.
Das häufige Erwachen hat aber noch mehr Vorteile:
- die Vermeidung von zu langen Tiefschlafphasen ist ein natürlicher Schutz vor dem plötzlichen Kindstod
- der regelmäßige nächtliche Kontakt zu den Eltern gibt Sicherheit und stabilisiert die Bindung
- eine regelmäßige nächtliche Nahrungsaufnahme und damit ein gesundes Wachstum werden gesichert.
Wer sich all diese Gesichtspunkte vor Augen führt, kann nachvollziehen, warum Babys nachts häufig wach werden und warum dies nicht bedeutet, dass die Eltern etwas falsch gemacht haben.
Das Baby schreien lassen? Lieber das Baby in den Schlaf begleiten
Doch auch, wenn es in der Natur der Sache liegt, wenn Neugeborene häufig erwachen und das Baby schreien lassen entsprechend keine Lösung ist, gibt es reichlich Möglichkeiten, die Einschlafsituation für Eltern und Kinder entspannter zu gestalten. Ein eigenes Einschlafritual kann beispielweise dafür sorgen, dass ein Baby mit der Zeit lernt, dass die Schlafenszeit gekommen und der Weg ins Bettchen nicht mehr weit ist. Die folgenden Tipps helfen dabei, den Übergang vom Tag in die Nacht ruhig zu gestalten und Stresssituationen für Eltern und Kinder zu vermeiden:
Video: Wie lange darf ich mein Baby schreien lassen? – Hebamme Swantje wird das Baby schon schaukeln
1.) Für eine geregelte Abendroutine sorgen
Erst die Windel wechseln und den Schlafanzug anziehen, dann mit Mama und Papa noch ein wenig kuscheln und dann zur immer gleichen Melodie der Spieluhr ins Bett gelegt werden: Babys lieben sich wiederholende, immer gleiche Abläufe und gewinnen dadurch Sicherheit. Genauso wichtig ist es, dass die letzten ein bis zwei Stunden vor der Bettgehzeit nicht zu aufregend sind. Häufig hilft es, den Tag langsam und in Ruhe ausklingen zu lassen. Das heißt, kein aufregender Besuch mehr, keine Ausflüge und kein Stress – sondern ein gemütliches, gemeinsames Einstimmen auf den Abend und die bevorstehende Nacht.
2.) Durch Einschlafbegleitung Vertrauen schaffen
Babys schlafen dann am besten, wenn sie eine vertraute Bezugsperson an der Seite haben. Inniges Kuscheln, das Spüren des Herzschlages und Körperkontakt sorgen dafür, dass sich das Baby im sicheren Hafen wähnt und es registriert, dass ihm keine Gefahr droht. Kritiker bemängeln an der so genannten Einschlafbegleitung häufig, dass Eltern ihr müdes Baby damit verwöhnen und ein eigenständiges Einschlafen ohne Mama oder Papa damit unmöglich wird. Wie widersinnig dies ist, zeigt sich spätestens dann, wenn wir unser eigenes Schlafverhalten unter die Lupe nehmen. Schlafen wir nicht auch selbst viel besser, wenn der geliebte Partner an unserer Seite liegt? Das Baby schreien lassen erscheint in diesem Zusammenhang unlogisch.
Erst mit der Zeit lernen Babys, dass die Eltern als vertraute Bezugspersonen auch dann nicht verschwunden sind, wenn sie sich nicht in unmittelbarer Nähe befinden. Ein guter Bindungsaufbau vom ersten Tag an und ein promptes Reagieren auf das weinende Baby sorgen dafür, dass das dafür nötige Grundvertrauen entsteht.
3.) Gemeinsam mit dem Baby schlafen
Generell schlafen Babys länger und ruhiger, wenn sie beim nächtlichen Aufwachen realisieren, dass alles in Ordnung ist und sie sich in Sicherheit befinden. Dies funktioniert dann besonders gut, wenn das Baby nicht im eigenen Zimmer, sondern in direkter Nähe der Eltern schläft – zum Beispiel in einem Beistellbett. Wird das Baby zwischen zwei Schlafzyklen wach, kann es so das Atmen der Mutter hören und dadurch leichter zurück in den Schlaf finden. Auch müde Eltern profitieren davon: Wird ihr Baby wach, können sie viel schneller und spontaner auf das weinende Kind reagieren, als wenn sie erst in ein anderes Zimmer eilen müssten. Auch das nächtliche Stillen oder Flasche geben wird dadurch vereinfacht. Dies sorgt nicht nur beim Baby, sondern auch bei den Eltern für etwas Entspannung.
4.) Änderungen im Schlafverhalten akzeptieren
Am Ende hilft darüber hinaus vor allem eins: Eine große Portion Gelassenheit. Denn wie auch wir selbst nachts nicht immer gleich schlafen, gute Nächte und schlechte Nächte haben, lang schlafen oder häufig aufwachen, so gilt dies ganz genauso für ein Baby. Egal, ob der Tag sehr aufregend war, die Zähnchen einschießen, das Bäuchlein rumort oder andere Gründe das Baby vom Schlafen abhalten: In dieser Situation benötigt jedes Baby Nähe, Unterstützung und Hilfe, damit es schnell und wieder einschlafen und eines Tages auch durchschlafen kann.
Wer diese Tipps im Alltag mit Baby umsetzt und das kindliche Schlafverhalten mit seinem häufigen Aufwachen verstehen lernt, kann leicht nachvollziehen, warum man nicht sein Baby schreien lassen, sondern liebevoll in den Schlaf und durch die Nacht begleiten sollte. Wer prompt auf das Weinen seines Babys reagiert, das weinende Baby direkt tröstet, es in seiner Aufregung begleitet und ihm Sicherheit vermittelt, legt den Grundstein für eine tiefe Bindung und eine Beziehung, die auf soliden und sicheren Beinen steht.
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