Es hätte auch uns treffen können, das war mein erster Gedanke, als ich diesen Bericht gelesen habe. Kein Elternpaar kann sich sicher sein, dass es vor diesem schlimmen Schicksal verschont bleibt
Inhaltsverzeichnis: Das erwartet Sie in diesem Artikel
Ein Tag, ein Bericht der alles verändert
Am 22.07.2004 um 23.00 Uhr warf uns das Schicksal in ein tiefes Loch. Ich stand gerade unter der Dusche, als mein Mann Frank herein gerannt kam und schrie „Sarah ist tot“. Diesen vor Entsetzen verzerrten Gesichtsausdruck werde ich nie vergessen.
Genauso wenig wie das Bild von Sarah, wie sie leblos und leichenblass auf unserem Bett liegt. Ich fing an zu schreien und trommelte auf ihrem kleinen Körper herum. Ich schrie meinen Mann an „Tue `was!“ Instinktiv begann er mit Wiederbelebungsmaßnahmen (hatte er bei der Marine gelernt – ein Glück!) und ich rief den Notarzt.
Unsere Sarah, geboren am 07.04.02, hatte sich im Hochbett mit Rutsche stranguliert. Normalerweise ist es das Bett ihrer damals gerade 4jährigen Schwester Annika. Es war nicht das erste Mal, dass die 2 ihre Betten getauscht hatten.
Nur dieses Mal endete es schrecklich! Sie war wohl im Schlaf unter dem Seitenausfallschutz durchgerutscht und mit ihrem Köpfchen hängen geblieben. (Jedenfalls denken wir das und wir wollen nicht hoffen, dass sie es mitbekommen hat)
Der alltägliche Weg ins Kinderzimmer vor dem Schlafengehen
Wie jeden Abend vor dem zu Bett gehen, ging mein Mann noch mal nach den Kindern schauen und fand Sarah. Dieses Gefühl, diese Angst und Panik lässt sich nicht in Worte fassen. Die Zeit bis der Notarzt eintraf fühlte sich an als wären Stunden des Wartens vergangen.
Dabei kam der Notarzt schon nach nur wenigen Minuten. Mein Mann hatte Sarah im Kinderzimmer auf den Boden gelegt, um sie wieder zu beleben. Dadurch war Annika mittlerweile wach geworden. Sie hat leider viel zuviel mitbekommen. Während das Notarzt-Team Sarah nun endgültig wieder zurückholte, klammerte sich Annika an mich und weinte. Ich rief meine Eltern an, damit sie sich um Annika kümmerten. Sarah wurde in die Kinderklinik in Sankt Augustin gebracht.
Wir rasten hinterher. Auf der Intensivstation wurde Sarah noch versorgt und wir durften nicht direkt zu ihr. Wir wurden in einen separaten Raum gebracht und taten das, was wir in den kommenden Wochen und Monaten noch häufig tun mussten: Warten und uns in Geduld üben. Dann kam ein Arzt. Er erklärte uns, dass Sarah jetzt stabil sei und man sie in ein künstliches Koma versetzt habe. Man könne noch nichts genaueres sagen, man müsse abwarten.
In der Klinik hieß es erstmal warten
Als wir Sarah dann sahen, wurde sie künstlich beatmet und ernährt. In unseren kleinen Sonnenschein flossen bestimmt 10 Medikamente über automatische Spritzen. Überall waren Schläuche und Kabel. Es sah alles sehr erschreckend aus. Aber bei den Ärzten und Schwestern der Kinderklinik St. Augustin empfanden wir unsere Tochter für sehr gut aufgehoben. Nach einigen Tagen wurden die Medikamente, die Sarah im künstlichen Tiefschlaf hielten, herabgesetzt.
Die folgenden Tage waren einfach nur schrecklich. Wir wussten, dass Sarah durch die Hirnschädigung wahrscheinlich schwere Behinderungen zurückbehalten würde. Damit haben wir gerechnet. Womit wir nie gerechnet hatten war, dass unser Sonnenschein nicht mehr wach wurde.
Sie öffnete zwar die Augen, aber ansonsten kam nichts. Diagnose: Wachkoma.
Ich habe mittlerweile mitbekommen, dass wir weiß Gott nicht die Einzigen sind mit einem solchen Schicksal. Aber es zieht einem den Boden unter den Füßen weg. Man fragt sich: „Warum musste das passieren? Warum gerade wir?“. Ich glaube der einzige Antrieb irgendwie weiter zu machen, auch in den folgenden Wochen, war die Hoffnung, dass da doch „noch was kommt“, und Annika, die uns ja auch, gerade jetzt, dringend brauchte.
Nach insgesamt 2 Wochen in Sankt Augustin sollte Sarah in eine Früh-Reha-Einrichtung kommen. Die nächste Einrichtung, die beatmete Kinder aufnahm und einen Platz frei hatte, war die Kinderklinik „Park Schönfeld“ in Kassel, knapp 300 km von uns entfernt.
Die Entscheidung fiel von heute auf morgen. Ich wollte natürlich bei meiner Tochter bleiben. Das bedeutete für mich allerdings vorübergehend nach Kassel zu ziehen und mich von meiner Familie zu verabschieden. Aber ich musste nicht ganz alleine fahren, meine Oma begleitete mich.
Reha Aufenthalt ca. 2 bis 3 Monaten. Es wurden allerdings 8 Monate
Als wir am 4. August in Kassel ankamen, wurden alle unsere Hoffnungen schon in den ersten Minuten auf eine harte Probe gestellt. Ein Arzt der Intensivstation sagte uns völlig ohne Mitgefühl, dass sich an Sarahs Zustand wahrscheinlich nichts mehr ändern würde.
Wir waren mit so großen Hoffnungen gekommen und jetzt . . .?
In den darauf folgenden 2 Wochen wurden an Sarah sehr viele Untersuchungen vorgenommen. Mit jeder weiteren Untersuchung stellte sich mehr heraus, dass bei unserem kleinen Sonnenschein mehr als die Hälfte des Gehirnes beschädigt waren. Sie lag bewegungslos in ihrem Bett. Die Augen verdrehte sie oft sehr weit nach oben. Der Blick war starr, das Gesicht regungslos. Sie entwickelte eine Spastik, die sich durch kurzzeitiges Überstrecken der Arme und Beine äußerte.
Sie atmete mittlerweile teilweise alleine, nur durch das Beatmungsgerät unterstützend, aber sie konnte nicht schlucken.
Die schlechten Nachrichten hörten nicht auf
Außerdem stellte man fest, dass sich der Hirndruck etwas erhöht hatte. Sarahs geschädigtes Gehirn konnte die anfallende Gehirnflüssigkeit nicht mehr abbauen. Aus diesem Grund musste ein Überdruckventil (Shunt) unter die Kopfhaut eingesetzt werden, dass Hirnflüssigkeit über einen feinen Schlauch in den Bauchraum leitet.
Damit endlich die Schläuche aus Sarahs Nase kamen, entschied man sich etwas später einen Luftröhrenschnitt (Tracheostoma) vorzunehmen und eine Magensonde (PEG) zu legen. Danach kam Sarah nach 6 Wochen auf der Intensivstation in Kassel endlich auf die Früh-Reha-Station.
Die Therapien wie Krankengymnastik, Logopädie, Ergotherapie und Musiktherapie, die natürlich auch schon auf der Intensivstation durchgeführt wurden, wurden hier intensiv fortgesetzt. Hinzu kam noch einmal pro Woche Seh-Früh-Förderung.
Kleine Schritte, ganz kleine Fortschritte nach langer Zeit
Wir konnten kleine Fortschritte feststellen. Sie atmete mittlerweile überwiegend alleine und kam nur manchmal nachts an die Beatmung zur Erholung.
In ihr Gesicht kam wieder etwas Bewegung. Die Augen bewegten sich anfangs nur nach oben und unten, später auch nach rechts und links. Und sie begann den Kopf zu bewegen. Wir stellten fest, dass sie auf Geräusche reagierte.
Auf 2 Schritte nach vorne, folgen manchmal 3 zurück. Es war so frustrierend. In den nächsten 2 Monaten wurde Sarah medikamentös neu eingestellt und hat fast nur geschlafen, da die Medikamente müde machen und die Aufmerksamkeit stark beeinträchtigen. Das neue Jahr fing dann einigermaßen gut an. Sarah krampfte nicht mehr und hatte sich an die Medikamente gewöhnt.
Sie ist wieder aufmerksamer geworden. Sie schaut einem oft direkt in die Augen oder dreht den Kopf in die Richtung, wo jemand redet. Ich bin mir sicher, dass Sarah viel von ihrer Umgebung mitbekommt. Sie kann uns zeigen, wenn ihr irgendetwas nicht gefällt und sie z.B. anders liegen möchte. Wir haben gelernt auf ihre kleinen Zeichen zu reagieren.
Und jetzt geht es endlich nach Hause. Am 1. April ist unser Entlassungstermin.